Wie hoch ist der Bedarf an Ärztinnen und Ärzten wirklich?
Personalbemessungstool – Fluch oder Segen? | Dr. Susanne Johna diskutiert mit Ingo Morell im Industrieclub Dortmund
Der Mangel an Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern ist seit Jahren unübersehbar. Überlastung ist bei chronischen Unterbesetzungen vorprogrammiert. Doch wie hoch ist der Bedarf an Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus tatsächlich? „Uns fehlt leider eine genaue Datengrundlage für eine exakte Personalplanung. Bisher können wir den echten Bedarf an Ärzten auf einer Station gar nicht verlässlich beziffern, bisher“, berichtete Dr. med. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK), beim traditionellen Chefärzte-Treffen des Marburger Bundes NRW/RLP im Dortmunder Industrieclub.
Nach intensiver Vorarbeit hat eine von Marburger Bünd´lern geleiteten Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer unter Einbeziehung von 36 Fachverbänden ein neuartiges Kalkulationstool vorgestellt – das Personalbemessungstool. Dies soll künftig die Basis für verbindliche Personalvorgaben und letztlich auch für die ärztlichen Personalkosten darstellen. Es fußt auf dem 2006 veröffentlichten Kalkulations-Instrument des Berufsverbandes der Anästhesisten und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin.
Bietet sich mit dem Tool eine historische Chance, dass nicht Ökonomen, sondern Ärzte selber den ärztlichen Bedarf sachgerecht definieren können? „Das neue Personalbemessungstool der BÄK erfasst erstmals sämtliche ärztlichen Leistungen. Es berücksichtigt, was wir in unserem Berufsalltag real erbringen. Eben nicht nur unsere direkte Tätigkeit am Patienten, sondern auch alle indirekten Aufgaben – etwa die Übergaben und Besprechungen, des Weiteren die Bereiche des Arbeitsschutzes, der Qualitätssicherung, die administrativen oder Führungsaufgaben und natürlich unsere ärztliche Fort- und Weiterbildung“, erläutert Dr. Johna.
Die BÄK hat über 100 ärztliche Aufgaben und Pflichten aufgelistet. „Alle einzelnen ärztlichen Tätigkeiten erhalten in dem Personalbemessungstool präzise Zeitwerte. Auch Zusatzaufwendungen und die patientenbedingten Aufwandsteigerungen werden berücksichtigt. So lässt sich der Gesamtbedarf einer Abteilung an ärztlicher Leistung recht genau ermitteln. Daraus kann wiederum die tatsächlich erforderliche Zahl der ärztlichen Vollzeitstellen abgeleitet werden, die zur Erfüllung unserer anfallenden Arbeit in einer Abteilung benötigt werden“, sagt Johna. Ein gewichtiger Schritt gegen den Ärztemangel.
Ist das Tool zur Personalbemessung der Bundesärztekammer ein Fluch oder Segen? „Die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft (DKG) und die KGNW haben sich dazu noch keine einhellige Meinung gebildet“, äußerte sich Ingo Morell. „Realität ist doch, dass derzeit in den Kliniken alle nur von Personalabbau reden, in allen Bereichen. Die Arbeitsverdichtung hat schon in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen. Zugleich sei der Regulierungswahn durch den G-BA und die Gesetzesflut nicht mehr zu Händeln. Wir werden auch weiterhin den Mangel verwalten müssen.
Morell neigt persönlich eher dazu, das Personalbemessungstool abzulehnen. „Es ist das klassische Beispiel, wie es nicht sein darf. Es darf kein starres Instrument werden, das keine flexible Lösung mehr ermöglicht. Wir müssen aber gute Arbeitsbedingungen bieten, damit die Ärztinnen und Ärzte nicht ins Ausland abwandern.“ Das neue Tool sei seiner Ansicht nach auch ein Überwachungsinstrument. „Um es aktuell zu halten, müssen Sie regelmäßig im Jahr alles minutengenau dokumentieren. Wir haben in Deutschland den Hang, alles viel zu gründlich zu machen.“
Dr. med. Susanne Johna erwiderte, dass eine unterbesetzte Abteilung eine große Gefahr für Patienten darstelle und die ständige Überlastung am Ende auch für Ärztinnen und Ärzte eine Gefahr sein werde.
„Ich verstehe, warum die BÄK das erarbeitet hat. Auch ich will eine vernünftige Personalbesetzung in Kliniken“, konzedierte Ingo Morell. Aber finanziell seien fast derzeit alle Kliniken fast am Ende. Die hohe Zahl an Kliniken in kirchlicher Trägerschaft in NRW sei besonders in der Existenz gefährdet. „Sie haben keine Kommune, die am Ende die Defizite bezahlt.“
Wo geht aber die Reise hin? Was bleibt von der Kliniklandschaft übrig nach der Berliner Krankenhausreform? „Der wirtschaftliche Druck wird weiter erhöht“, prognostiziert Ingo Morell. „Es ist doch das eigentliche Ziel, dass am Ende des Tages aus derzeit 1.700 Krankenhäusern in Deutschland künftig nur noch 600 werden.“ Er sei froh, dass wenigstens bei der Reform der Krankenhausplanung in NRW auch die Ärztekammern eingebunden gewesen seien. „Ich bin dafür dankbar, denn wir haben nicht den nötigen ärztlichen Blick.“
„Als Träger eines Krankenhauses fühle ich mich von Berlin komplett alleine gelassen. Die anfangs versprochene Entökonomisierung ist nicht mehr das Ziel des Krankenhausreformgesetzes, sei Anfang der Woche in Berlin eingestanden worden. Minister Lauterbach erzähle ständig, dass er dieses oder jenes Krankenhaus retten will. Das ist unfair. Sie sollten klar sagen, welche Klinik geschlossen werden soll oder nicht. Ich habe mein Vertrauen verloren, dass das, was für die Versorgung wirklich wichtig ist, Vorrang vor der Ökonomie hat“, zeigt sich Ingo Morell von der Bundespolitik am Ende ernüchtert.
Ansprechpartner
Pressesprecher
Wörthstraße 20, 50668 Köln
+49 221 | 7200373 michael.helmkamp@netcologne.de