Gesundheitsmarkt oder Fürsorge?

Patienten brauchen Ärztinnen und Ärzte, keine Ökonomen!

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Eleonore Zergiebel

Von Eleonore Zergiebel

Wir haben uns für den Arztberuf entschieden, um dem Wohl des Patienten zu dienen. Wir möchten unsere fachlichen Entscheidungen an den Bedürfnissen des Patienten ausrichten. Mit Einführung der Abrechnung nach Fallpauschalen vor 20 Jahren, dem Ausbleiben einer auskömmlichen Investitionskostenfinanzierung der Länder sowie zunehmenden finanziellen Sanktionen (MD-Fall-Prüfungen, Strafzahlungen, G-BA-Richtlinien- und Strukturprüfungen) lastet ein unerträglicher Kostendruck auf allen Gesundheitsschaffenden im Krankenhaus. 

Mit Einführung der Abrechnung nach Fallpauschalen war ein Anreiz zur Gewinnoptimierung gesetzt worden. Gewinne wurden möglich. Angesichts der Inflation, Energiekostensteigerungen und Tariferhöhungen treten massive Einsparmaßnahmen in den Vordergrund, um das wirtschaftliche Überleben der Krankenhäuser zu sichern. 

Wir wollen ärztliche Entscheidungen nicht Regeln der Marktwirtschaft unterwerfen

Uns Ärztinnen und Ärzten haben Geschäftsführer die Aufgabe übertragen, das Überleben der Klinik zu garantieren, das sei ebenso wichtig wie das Patientenwohl, so lauten deren Vorgaben. Diese Erwartungshaltung widerspricht unserer ärztlichen Profession fundamental. 

Unser Beruf ist eine Profession. Wir wollen und dürfen unsere ärztlichen Entscheidungen nicht Regeln der Marktwirtschaft unterwerfen. Kommerzielle Zielvorgaben sind falsch. Die einzige „Zielvorgabe“ eines Krankenhauses ist medizinische und pflegerische Patientenversorgung. Diese Klarheit hat unserer Profession immer die nötige Orientierung gegeben. Sie dient unserem Auftrag zum Schutz unserer Patienten. 

Politiker haben gravierende Fehlentscheidungen getroffen

Was hat aber die Politik in den letzten 20 Jahren mit dem Versprechen gegenüber den Patienten gemacht? Die politisch Verantwortlichen haben gravierende Fehlentscheidungen für unser Gesundheitssystem getroffen. Vor einer strukturierten Krankenhausplanung haben sich alle gedrückt! Für sie war es bequemer, wenn Kliniken finanziell unter Druck stehen und Insolvenzen die Kliniklandschaft bereinigen. Um Bedarf oder Qualität geht es dabei nie. 

Zusätzlich haben die gesundheitspolitischen Entscheider ein Solidarsystem, das der Daseinsvorsorge dient, in ein Gesundheitswesen transformiert, das betriebswirtschaftliche Ergebnisse erzielen muss. Von uns Ärztinnen und Ärzten wird dabei verlangt, diese politischen Vorgaben im Alltag durchzusetzen. 

Das Vertrauen zwischen Arzt und Patient ist nachhaltig gestört.

Durch die fatale Ausrichtung des Gesundheitswesens auf betriebswirtschaftliche Ergebnisse verraten die Politiker unser Versprechen an die Patienten, dass ihre Behandlung durch uns Ärzte und Ärztinnen nur ihrem Wohlergehen dient. Wir erleben, dass unsere Patienten den Verrat spüren. 

Zwangsläufig wird das Vertrauen zwischen Arzt und Patient nachhaltig gestört. Dieses Vertrauen ist die Basis jedes Verhältnisses zwischen Ärzten und Patienten. Es ist die ureigentliche Voraussetzung für einen gelingenden Heilungsprozess. Laut Umfrage der KKH-Krankenkasse fürchtet sich aber bereits jeder vierte Patient vor einer Behandlung im Krankenhaus. 

Systemversagen gefährdet die Patientenversorgung

Mit der Ausrichtung auf marktwirtschaftliche Vorgaben wird unser Beruf deprofessionalisiert. Ökonomische Leitlinien greifen die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidung an. Unsere Handlungsmaxime wird fachfremden Interessen unterworfen, das zerstört unausweichlich das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten und Patienten. 

Durch dieses Systemversagen ist die Patientenversorgung gefährdet: Personalflucht und hoher Krankenstand beim medizinischen Personal erzeugen Personalmangel. Fehlende Zeit für die Patienten führt zur minimalen medizinischen und pflegerischen Patientenversorgung, zur Unterversorgung von medizinisch und pflegerisch aufwendigen Patienten. Auch die Überversorgung angesichts lukrativer Fallpauschalen muss erwähnt werden. Nicht zuletzt sei an die ausufernde Kontrollbürokratie erinnert, die drei bis vier Stunden ärztliche Arbeitszeit pro Tag bindet. 

Wir müssen uns rückbesinnen auf ein Gesundheitssystem, das als Solidargemeinschaft konzipiert wurde und als Daseinsvorsorge finanziert und organisiert ist. Das wäre die wahre Revolution! Als Marburger Bund fordern wir, dass das Sozialstaatsprinzip wieder die Grundlage in der Gesellschaft sein muss. Politiker müssen akzeptieren, dass wir Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus unserer Profession nur gerecht werden können, wenn das Wohl unserer Patienten wieder oberstes Gebot bleibt. Dafür setzen sich die gewählten Delegierten des Marburger Bundes ein.

Zur Autorin:

Eleonore Zergiebel

Fachärztin Innere Medizin, Krankenhaus Düren, Mitglied im MB-Vorstand und der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein.